Die Bedingung für Bildung ist Neugierde. Bildung erlangt man laut dem Philosophen Peter Bieri nur aus freiem Willen für sich selbst, und auch nur, wenn sie zu einer Veränderung der eigenen Persönlichkeit führt. Auch wenn die Schule uns eher ausbildet, weil sie das Ziel verfolgt, dass wir später etwas wissen, hat sie den Anspruch zu bilden. Gelingt ihr das eigentlich? Von Lilian Kowalski
Um uns zu bilden müssen die schulischen Inhalte also an die Motivation des Schülers anknüpfen aus freiem Willen für sich selbst etwas zu lernen. Der Schüler muss sich folglich auf den Stoff einlassen, sich dadurch innerlich erweitern, verändern und letztendlich auch nach den neu erlernten Erkenntnissen handeln können.
In Eigenverantwortung dürfen Schüler nur tun, was der Lehrer möchte
Doch in der Schule wird Eigenverantwortung nur gefordert, wenn es im Bereich dessen bleibt, was der Lehrer von den Schülern möchte. Die Arbeitsprozesse sind nur selten autonom und die Schüler finden sich damit ab, für die guten Noten, und für das zu lernen, was in den Klausuren von ihnen verlangt wird. Ihre Motivation besteht nicht aus eigenem Willen und Interesse an den Themen, sondern aus Leistungsdruck und dem Ziel später einmal bei der Bewerbung von den guten Noten zu profitieren, anstatt sich innerlich damit auseinander zu setzen um seine eigene Persönlichkeit weiterzubilden.
Unter dem von Prof. Dr. Bieri beschriebenen Begriff von Bildung fällt auch die gedankliche Unbestechlichkeit. Im Unterricht lernen Schüler das, was sie hören und lesen kritisch zu hinterfragen, darüber zu reflektieren, und die Glaubwürdigkeit dessen zu überprüfen. Dies geschieht allerdings nur im Rahmen des Lehrplans und der Lehrer kann die Schüler allein schon durch die Wahl der Texte beeinflussen. Zudem wird oft eine „richtige“ oder bevorzugte Lösung vorgegeben.
In einigen Fächern lernen die Schüler auch, dass gesellschaftliche und kulturelle Zufälligkeit besteht, und dass man den kulturellen Unterschieden gegenüber offen und respektvoll sein soll, worin Bieri Bildung als historisches Bewusstsein sieht. Zudem lernen die Schüler mindestens zwei Fremdsprachen, was laut Bieri essentiell ist, um eine Kultur vollständig zu verstehen. Doch Bieris Idee von Bildung als historisches Bewusstsein erfüllt der Unterricht kaum. In der Realität wird das Verständnis für andere Kulturen und Sprachen nur oberflächlich behandelt, und ohne das vom Schüler selbst ausgehende Interesse, kann die innere Veränderung aufgrund dieses Wissens nicht stattfinden.
Nachdem die Grammatik und die grundlegenden Vokabeln in wenigen Jahren komprimiert beigebracht wurden, analysiert man in allen Sprachen nur noch Texte. Doch wer einmal verstanden hat, wie man eine Analyse schreibt, und es auch anwenden kann, lernt von da an kaum noch etwas dazu.
Individuelle Förderung als Mangelware
Wer von Anfang an kein Talent für Analysen hatte, lernt es mit großer Wahrscheinlichkeit auch dann nicht mehr, da die individuelle Förderung von einzelnen Schülern Mangelware ist. Das Vokabular bleibt dürftig, die Aussprache könnte deutscher nicht sein und inhaltlich bleibt es eher bei Reproduktion und Interpretation, als das sich jemand aus eigenem Willen für die Themen interessiert und möglicherweise auch noch auf sich selbst bezieht.
Bieri sieht Bildung auch als poetische Erfahrung. Sie ist für ihn zwar kein Mittel um glücklich zu sein, aber sie eröffnet eine weitere Dimension Glück zu empfinden. So vermitteln einige Fächer den Schülern das Wissen, dass nötig ist um durch Literatur, Malerei und Musik Glück zu empfinden zu können. Diese Fächer werden allerdings oft als unwichtig abgetan und wer für die im Rahmen des Unterrichts geforderten Inhalte nicht von allein Verständnis mitbringt bekommt schlechte Noten und verliert schnell den eigenen Willen sich mit diesen Themen zu beschäftigen, da man die Fächer abwählen kann und sie somit keine Notwendigkeit sind. Zudem kann man nicht alle diese Fächer gleichzeitig belegen. Die Möglichkeit sich seine Fächer auszuwählen erhöht allerdings allgemein die Chancen, dass es zu Bildung kommt, da die Schüler sich aus eigenem Willen dafür entscheiden ein Fach neu oder weiter zu wählen.
Einige Fächer beschäftigen sich mit dem eigenen Willen und den eigenen Emotionen, lassen die Schüler ihre Vergangenheit interpretieren und ihre Zukunftspläne durchleuchten und hinterfrage, was somit auch Bieris „Bildung als Selbsterkenntnis“ abdecken kann, sofern die Schüler von sich aus bereit sind sich darauf ein zu lassen.
Eigene Meinung kann zum Nachteil werden
In Diskussionen und Unterrichtsgesprächen lernen die Schüler die Balance zwischen dem Anerkennen des Fremden und dem Bestehen auf der eigenen moralischen Meinung zu halten. Häufig sind die Positionen jedoch vorher schon festgelegt und die Schüler entwickeln keine eigenen Positionen. Zudem ist die Bewertung oft subjektiv, und wenn der Lehrer nicht versteht, was der Schüler meint oder anderer Meinung ist, kann das eigentlich erwünschte eigenständige Reflektieren über etwas dem Schüler zum Nachteil werden. Das führt dazu, dass die Schüler häufig nur das sagen, was der Lehrer hören, und nur das lernen, was relevant für die Notengebung ist.
Gruppenarbeiten fördern die soziale Kompetenz der Schüler. Sie lernen, sich ihre Arbeit untereinander aufzuteilen und eventuell entstehende Konflikte zu lösen. Doch Gruppenarbeiten nehmen mehr Zeit in Anspruch und es gibt zu viel Stoff, der in kurzer Zeit abgearbeitet werden muss, wodurch den Lehrern oftmals gar keine Möglichkeit bleibt, die Schüler autonom arbeiten zu lassen.
Das führt dazu, dass die individuellen Talente der Schüler zu wenig berücksichtigt werden. Gute Leistungen erbringt der, der gut darin ist stupide die Aufgabenstellung zu befolgen und die Dinge, die im Erwartungshorizont stehen abzudecken. Wer seine Zeit in andere Interessengebiete investiert oder sich mit einem für den Arbeitsauftrag unwichtigerem Teil des Themas stärker auseinandersetzt, hat schon verloren.
Keine Zeit für Leben jenseits von Schule
Dazu kommt, dass jeder Lehrer denkt, seine Aufgaben wären in der Zeit zu schaffen, aber oftmals nicht mit einrechnet, dass Schüler noch ein Leben außerhalb des Unterrichts haben und es noch andere Lehrer gibt, die das Selbe denken. Dadurch fällt entweder der schulische oder der außerschulische Teil flach. Außerhalb der Schule widmen sich Schüler also eher selten der Bildung und innerhalb der Schule sind sie darin eingeschränkt. Dieser Leistungsdruck hinterlässt oftmals psychische und physische Spuren und der Schüler hat kaum Alternativen der Fremdbestimmtheit zu entgehen.
Durch mangelnde Organisation gibt es oft Lehrerwechsel, die teilweise nicht sein müssten. Warum übernimmt beispielsweise eine Lehrerin, die in der Kinderplanung steckt einen Kurs, den sie für 2 Jahre unterrichten soll, oder wie soll ein Schüler eine Fremdsprache lernen, wenn er innerhalb von drei Jahren vier verschiedene Lehrer, und zwischen deren Wechsel gar keinen Unterricht hat? Dadurch werden Inhalte oft doppelt oder in zu kleinem Umfang besprochen und es fehlt das nötige Anknüpfen an vorherige Unterrichtsinhalte.
Prüfungs-Rhythmus fördert Lernen fürs Kurzzeitgedächtnis
Die Prüfungen werden alle innerhalb weniger Wochen geschrieben, was die Schüler dazu treibt sich den gesamten Stoff nur kurzzeitig zu merken und nach der Klausur sofort mit anderen Inhalten zu ersetzen. Während der Klausurphase hat der Schüler kaum Zeit für andere Dinge außer lernen und muss sich oft auch überlegen auf welche Inhalte er Schwerpunkte setzt, da alle Inhalte gar nicht zu schaffen sind. So kommen oft die Hausaufgaben zu kurz, oder fallen gleich ganz weg, obwohl sie den Schülern eigentlich die Möglichkeit geben sich in Ruhe über die Unterrichtsinhalte zu reflektieren.
Zudem sind die Schultage in den letzten Jahren immer länger geworden und es fällt schwer sich nach einem langen Schultag noch zu konzentrieren, denn ununterbrochen neue Dinge zu lernen, erfordert mehr Energie, als jeden Tag bereits gelerntes anzuwenden. Schultage waren nicht umsonst kürzer als Arbeitstage.
Schule ist und bleibt eine Ausbildung, bilden müssen wir uns selbst.
Bildung findet letztendlich öfter außerhalb des Unterrichts statt, wenn sich die Schüler aus eigenem Willen heraus für etwas interessieren, es für sich selbst lernen, und sich dadurch selbst bewerten, sich mit einem Teil ihrer Persönlichkeit identifizieren und sich von einem anderen Teil distanzieren. Die Schule legt lediglich den Grundstein dafür, dass wir Dinge öfter hinterfragen und nicht alles direkt so hinnehmen, wie wir es serviert bekommen. Tatsächlich Eigenverantwortung zu übernehmen lernen wir erst, wenn wir unsere Schullaufbahn abgeschlossen haben. Schule ist und bleibt eine Ausbildung, bilden müssen wir uns selbst.#
Dieser Essay ist im Unterrichts-Projekt Gute Schule entstanden. Weitere Schüler-Beiträge zu diesem Projekt finden sich unter dem Schlagwort Gute Schule.