Was ist eine gute Schule?

Im Folgenden werden einige der von Prof. Dr. Bieri aufgeführten Thesen zum Wesen eines „Gebildeten“ näher beleuchtet, sowie ein Vergleich zwischen der Festrede und einer subjektiven Einschätzung der Situation an deutschen Gymnasien, insbesondere des GSG Pulheim durchgeführt.  Von Andreas Brennecke

In seiner Festrede „Wie wäre es gebildet zu sein?“, geht Prof. Dr. Bieri, damals Inhaber des Lehrstuhls für „Sprachphilosophie und Analytische Philosophie“ an der Freien Universität Berlin auf die verschiedenen Formen der Bildung, insbesondere aber auf den von ihm beschriebenen Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung ein. Dabei betrachtet er Bildung in mehreren ihrer vielfältigen Interpretation und sieht diese infolge dessen als Kombination aus „Weltorientierung“, „Aufklärung“, „historische[m] Bewusstsein“, „Artikuliertheit“, „Selbsterkenntnis“, „Selbstbestimmung“, „moralische[r] Sensibilität“, „poetische[r] Erfahrung“ und „Leidenschaft“.

Schule muss Neugier fördern

Für den Redner der vorliegenden Festrede ist „Ein Gebildeter einer, der eine Vorstellung davon hat, was Genauigkeit ist und dass sie in verschiedenen Provinzen des Wissens ganz Unterschiedliches bedeutet“. Bieri nimmt hierbei an, dass das Konzept der Bildung nicht zwangsläufig bedeutet, dass man als Mensch in allen Bereichen uneingeschränktes Wissen hat, was faktisch unmöglich ist. Dabei geht er durchaus davon aus, dass man durch Neugierde in der Lage sein kann, sich das Wissen eines „winzigen Ausschnitt der Welt“ anzueignen.

Während auch ich der Ansicht bin, dass vollumfassendes Wissen, insbesondere in der modernen Welt nicht erreichbar ist, vertrete ich die Position, dass ein Individuum, und damit auch eine Gesellschaft als Kollektiv mehrerer Individuen durch Neugierde Wissen und Verständnis erlangen kann. Aufgabe von Ausbildung in einer solchen Gemeinschaft, muss also sein, diese Neugierde, genauso wie einen „Sinn für Proportionen“, schon frühestmöglich in Kindern und Jugendlichen zu wecken. Wenn dies gelingt, so bildet man einen gebildeten Erwachsenen aus, „der sich in der Welt zu orientieren weiß“, welcher durch „gedankliche Unbestechlichkeit“ überzeugen kann.

Schule muss (selbst-)kritischen Zugang zu Kulturen fördern

ein möglichst breites und tiefes Verständnis der vielen Möglichkeiten hat, ein menschliches Leben zu leben“. Um diesen Punkt zu erreichen, muss sich eine Person mit der „historischen Zufälligkeit“ ihres Daseins bewusst werden. Sie muss dafür sowohl in der Lage sein, über die eigene Kultur objektiv zu reflektieren und sich diese von neuem anzueignen, als auch das Ergebnis dieser Neuaneignung als einen von vielen kulturellen Identitäten zu begreifen. Hierfür muss sich eine Person sowohl mit Personen anderer Kulturen, als auch mit anderen Kulturen auseinandersetzen. Eine gute Schule muss also nicht nur eine Konfrontation mit der eigenen kulturellen Identität forcieren, sondern darüber hinaus den interkulturellen Dialog verschiedener Individuen ermöglichen. Daher muss es das Ziel einer solchen Schule sein, ihren SuS den Zugang zu entsprechend (selbst-)kritischen Texten zu gewährleisten. Dieser Zugang zu Kultur macht dann aus einem ausgebildeten Jugendlichen einen gebildeten Erwachsenen „der liest“.

Schule muss Individualität fördern

besser und interessanter über die Welt und sich selbst zu reden versteht als diejenigen, die immer nur die Wortfetzen und Gedankensplitter wiederholen, die ihnen vor langer Zeit einmal zugestossen sind“. Eine gebildete Person ist also eine, welche nicht zufällig aufgefangene Floskeln wiederholt, sondern eine, die in der Lage ist, sich aus den bekannten Worten und einer persönlichen Auseinandersetzung mit der gegebenen Situation heraus eine individuelle, neue Ansicht zu erarbeiten. Nur eine solche Person kann sich langfristig in einer Gesellschaft behaupten, in der es darum geht immer wieder neue, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Aufgabe einer guten Schule ist es also in diesem Kontext dafür zu sorgen, dass sich die SuS sowohl in Situationen wiederfinden, in denen sie mit vollkommen neuen Gedanken konfrontiert werden und schnell auf diese reagieren müssen, als auch die nötigen Werkzeuge haben, um diese in Sprache auszudrücken.

Zusätzlich, so Prof. Dr. Bieri ist ein Gebildeter einer, „der über sich Bescheid weiß und Bescheid weiß über die Schwierigkeiten dieses Wissens“, „der um die brüchige Vielfalt in seinem Inneren weiß und keine soziale Identität für bare Münze nimmt“, „der über seine seelische Gestalt selbst bestimmt, indem er einen stetigen Prozess erneuter Selbstbewertung zulässt und die damit verbundene Unsicherheit aushält“ und „der die Sprache des Erlebens beherrscht“.

Auch Ursula Frost befasst sich mit der Frage, was Bildung genau ausmacht. Hierzu fasste sie den Text „Anpassung und Widerstand. Reflexionen über Bildung in Zeiten der Unbildung“ ab. Frost ist am Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie und Pädagogik der Lebensspanne an der Universität zu Köln tätig und forscht dort vorrangig auf den Gebieten der allgemeinen Pädagogik und der historisch-systemischen Pädagogik.

Frost legt in ihrem im Jahr 2008 erschienenen Text dar, dass man als gebildeter Mensch die nötigen „Systemrationalitäten und Funktionsweisen“ kennt und aus diesen heraus, unter Nutzung „eingespielter“ Diskursarten in der Lage ist, „Zugang zu sozialen Positionen und […] Möglichkeiten zu […] zu gewinnen. Hierfür sind Frost zufolge die „Verpflichtung zum Praxisbezug [und] zugleich eine kritische Distanznahme“ erforderlich. Damit vertritt sie einen Argumentationspunkt, den auch Prof. Bieri, speziell in Bezug auf die kulturelle Identität eines Individuums, gemacht hat.

Was das GSG leisten muss

Viele Gymnasien in Deutschland, so auch das GSG haben in den vergangenen Jahren unzählige Schritte unternommen um zum „Haus des Lernens“ zu werden. Dennoch bin ich persönlich der Ansicht, dass gerade in den von Prof. Bieri genannten Bereichen noch mehr getan werden sollte. So muss das GSG weiterhin einen schweren Fokus auf Individuelle Förderung, eine lebensnähere Grundausbildung (Steuerwesen, Behördengänge und Co.), sowie die kritische Auseinandersetzung mit individuellen Meinungen legen. Auch wenn die Schule eine Gemeinschaft sein soll und muss, muss zu jeder Zeit der Raum für individuelle Entfaltung gewährleistet werden. Denn auch wenn „fundierte Bildung“ eins der Leitbilder des GSG ist, kann die Schule ‚nur‘ das Fundament für einen fortlaufenden Bildungsprozess sein. Nur so werden die SuS „Zivilcourage“ und „soziale Kompetenz“ auch über ihre Schulzeit hinaus leben.

Textgrundlagen:

„Wie wäre es, gebildet zu sein?” – Prof. Dr. Bieri

„Anpassung und Widerstand. Reflexionen über Bildung in Zeiten der Unbildung“ – Ursula Frost

Dieser Essay ist im Unterrichts-Projekt Gute Schule entstanden. Weitere Schüler-Beiträge zu diesem Projekt finden sich unter dem Schlagwort Gute Schule.

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